Gedanken zu Remoteworks
Wir schreiben das Jahr 2002. Die ProjectWizards sind als Netzwerk professioneller Projektmanager in der Gründungsphase. Bei den ersten Bewerbungsgesprächen mit interessanten Kandidaten lerne ich eine harte Lektion. Ich kann mit dem Standort Melle einfach kein interessantes Feierabend-Erlebnis bieten. Auch ein anderer Bewerber ist nicht weniger brutal: Er habe bisher in Hamburg, Berlin und Düsseldorf gearbeitet. Da passt Melle einfach nicht in seine Vita. Auf meinen Einwand, dass es SAP-Mitarbeiter auch nicht stört in Walldorf zu leben, kam nur die Antwort; wenn wir so groß wie SAP sind, dürfte ich ihn wieder zum Bewerbungsgespräch einladen. Er stand auf und ging.
So ist in den Wochen darauf die Idee entstanden, die Mitarbeiter einfach vom jeweiligen Lieblingsort arbeiten zu lassen. Das Home-Office für ProjectWizards war geboren.
Natürlich gab es für mich als Jungunternehmer (der Begriff Entrepeneur wurde erst später modern) von allen Seiten Ratschläge was ich als nächstes machen sollte. Der Schwerpunkt war aber dieser Tenor: Mach den Laden gleich wieder zu. Das wird nichts. So kannst du deine Leute nicht kontrollieren, etc.
Fast Forward ins Jahr 2020. Mitten in der Corona Pandemie. Hashtags wie #remoteworks und #ShowMeYourHomeoffice erziehlen bei Google und Twitter Top-Positionen. Auf den Webseiten befreundeter Unternehmen lese ich solche Zeilen „Wie Sie in der Krise Ihr Unternehmen von zu Hause aus führen.“ – und lache innerlich. Das waren die Unternehmen, die mir vor mittlerweile fast 18 Jahren den baldigen Crash attestiert haben.
Ja, wir sind immer noch „eine kleine Frittenbude“ (eines meiner Lieblingszitate). Aber nur, weil ich nach meinen Erfahrungen bei Bertelsmann nie wieder im Konzern oder großen Firmen arbeiten wollte. Das schönste Kompliment kommt von meinem Team. Wir haben Unternehmenszugehörigkeiten von zehn Jahren und mehr. Und mit diesem Team bauen und verkaufen wir die beste Projektmanagement-Software auf dem Mac und dem iPad!
Nachdem es bei uns schon einige fachliche Artikel zu diesem Thema gibt, möchte ich heute im Rahmen der Blogparade von Marcus Raitner das Menschliche etwas mehr in den Vordergrund stellen.
Wenn ich es vom heutigen Standpunkt aus betrachte, bin ich in der besten möglichen Situation. Meine Frau ist gleichzeitig meine Assistentin, mein Sohn hat das Studium erfolgreich abgeschlossen und lebt in Berlin. Die Firma läuft und wir leben in einem schönen Haus mit Garten am Stadtrand von Melle. Komisch, gerade habe ich im Kopf die Zeile:
Jetzt sitz ich hier, bin etabliert und schreib auf teurem Papier.
–– Marius Müller Westernhagen
Aber wie sind wir (ja wir; denn ProjectWizards war noch nie eine Einzelleistung) zu diesem Punkt gekommen? War es die Abschaffung von Hierachien und damit ein immer familiäreres Verhältnis mit dem Team? War es die permanente und gelebte Devise, auf die Gesundheit und Familie immer Rücksicht zu nehmen?
Schauen wir doch mal auf unsere Tafelrunde (ein Begriff, der aus gutem Grund seit dem ersten Tag bei ProjectWizards genutzt wird): Ich sehe unterschiedliche Altersgruppen, unterschiedliche Nationalitäten und natürlich unterschiedliche Geschlechter - sorry, Ladies ;-) Aber das wichtigste dabei ist; ich beachte diese Eigenschaften gar nicht. Ich arbeite mit Menschen, die gewisse Stärken – und natürlich auch Schwächen – haben. Und diese versuche ich so clever wie möglich einzusetzen.
Ein Beispiel: Vor Jahren sprach mich eine Mitarbeiterin an, dass Sie sich Nachmittags mehr um Ihren Sohn kümmern wollte und darum gerne andere Arbeitzeiten hätte. Nach dem Gespräch über das wie und die Vor- sowie Nachteile stand es fest. Sie würde ab sofort vormittags, wenn der Sohn in der Schule ist, arbeiten. Nachmittags hatte sie für ihren Sohn frei. Und Abends hatte sie dann noch einige Stunden Dienst, wenn das Kind im Bett war. Heute ist der Sohn ein junger Mann und geht natürlich nicht mehr um 8 Uhr ins Bett. Aber auch die Regelung ist mittlerweile flexibler geworden.
Das bringt mich zu den Arbeitszeiten. Ich sage immer gerne, wir haben keine festen Arbeitszeiten. Das stimmt so natürlich nicht ganz. Unsere drei dauerhaft angelegten Routinen (Management, Entwicklung & Service) finden zwischen 9 und 12 Uhr statt. Da ist Anwensenheit natürlich Pflicht. Darüber hinaus kann es auch weitere Besprechungen geben, bei denen man beser geistig voll da ist. Darüber hinaus ist es vollkommen egal, wann man seine Arbeit macht. Unter der Voraussetzung, dass Termine oder Ziele eingehalten werden, sehe ich regelmäßig, wie schönes Wetter genossen, oder ein freier Termin beim Friseur genutzt wird. Oder, oder, oder… Und wer seinem Mitteilungsbedürfnis freien Lauf lässt, schreibt einen netten Kommentar in den #away Channel von Slack, unserem Kommunikations-Werkzeug.
Daraus folgt natürlich sofort die Frage nach dem Urlaub. Ich weiß es gerade nicht mehr genau wann es war, aber bei einem Team-Meeting habe ich das Thema stark vereinfacht: „Wir sind alle erwachsene Menschen und eine unserer besseren Eigenschaften ist das logische Denkvermögen. Ich bin nicht dafür da, mit euch den Urlaub zu diskutieren. Ihr seid schon groß, ab sofort bekommt ihr das alleine hin.“ Und es klappt. Wenn nötig wird ein Kollege mit in die Urlaubsplanung einbezogen. Und anschließend geht eine Information an die Buchhaltung; denn diverse Behörden möchten schon über die Urlaubssituation informiert sein. Ich habe meinen Team-Kalender, der mich über alles Wichtige informiert.
Das Stichwort Team bringt mich zum letzten Punkt für heute: Die Team-Meetings! Eines der elementaren Ereignisse für Remote Teams dürfen und können wir im Moment nicht durchführen. Das zuletzt geplante Meeting war Ende April. Und es hat natürlich nicht stattgefunden. Wir haben überlegt, ob wir ein virtuelles Meeting durchführen, haben uns aber dagegen entschieden. Es bietet nicht im Ansatz das, was für uns dabei wichtig ist. Da wir sehr gut über die Distanz arbeiten können, brauchen wir einen Gegenpol. Etwas spannendes, etwas zum spielen und zum naschen ;-)
Ich könnte viel mehr über dieses Thema schreiben. Aber an dieser Stelle mache ich einfach mal eine Pause, nicht nur weil heute Samstag ist. Vielmehr möchte ich die Frage in den Raum stellen, was von interesse ist. Schreiben Sie mir auf Twitter, LinkedIn oder via E-Mail.